Laufendes Dissertationsprojekt: „Rewriting als Verfahren im Umgang mit kanonischen Texten“ (Arbeitstitel)
Kurzdarstellung des Projekts:
Dr Jekylls Hausmädchen, Schneewittchens böse Stiefmutter, Ophelia, Magwitch oder Freitag – von den Nebenfiguren, wie von den Nebenschauplätzen und -handlungen bekannter und einflussreicher Texte scheint eine Faszination auszugehen, die Autor:innen dazu motiviert, existierende Geschichten aus der Perspektive anderer Figuren und/oder mit Fokus auf bisher wenig beachteten Handlungssträngen neu- oder umzuschreiben. Im literaturwissenschaftlichen Diskurs, insbesondere in postkolonialen und feministischen Literaturtheorien, begegnet für solche Texte immer häufiger der Begriff rewriting.
Als literaturwissenschaftlicher Terminus zeichnet sich rewriting allerdings durch eine gewisse Unschärfe aus: Er wird in unterschiedlichen Kontexten mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet und steht in Beziehung zu einer Fülle verwandter bzw. alternativer Begriffe und Konzepte wie spinoff, retelling, Revision, Adaption, Appropriation oder parallel literature. Mein Dissertationsprojekt zielt darauf, rewriting als eine spezifische Form intertextueller Bezugnahme zu bestimmen, von anderen Verfahren und Formen der Intertextualität abzugrenzen und so zu einer Begriffsschärfung beizutragen.
Über terminologische und konzeptionelle Fragen hinaus gilt mein Forschungsinteresse möglichen Funktionen von rewriting mit Blick auf das ambivalente Verhältnis von rewriting und Kanon: Rewriting ist ein Verfahren, das meist auf in irgendeiner Weise kanonische Texte bezogen wird; es setzt Kanonizität voraus, zugleich wird ihm häufig eine kritisch-subversive Funktion der Kanonrevision oder -erweiterung zugeschrieben. Welche Funktionen erfüllen rewritings in Bezug auf unterschiedliche Ausprägungen der Idee eines Kanons? Woran lässt sich die Haltung eines rewriting gegenüber seinem kanonischen Prätext festmachen? Wie funktioniert rewriting als ein kanonbasiertes Mittel der Kanonkritik? Diesen Fragen widmet sich mein Projekt im Blick auf rewritings unterschiedlicher literaturgeschichtlicher Herkunft, insbesondere englisch- und französischsprachige Texte der 1980er bis 2020er Jahre.