Hauptseminare Wintersemester 2021/22

Hinweis: Die Zugehörigkeit der Lehrveranstaltungen zu den einzelnen Modulen des B.A.-Studiengangs Komparatistik/Europäische Literatur, des M.A.-Studiengangs Komparatistik und des M.A.-Studiengangs Weltliteratur ist durch Kurztitel der Module nach den Lehrveranstaltungstitel angegeben.

 

HS Konstruktionen des Ichs: Autobiografisches Schreiben im 20. und 21. Jahrhundert (BA Modul Vergleichende Europäische Literaturgeschichte)

W. Eckel

2-std., Mi, 10–12 Uhr, P 205

Beginn: 20. Oktober 2021

Auf dem Feld des Subjekts, meint Roland Barthes, gibt es keinen Referenten, d.h. kein fragloses Ding in der Welt, auf das wir uns mit unseren Worten beziehen können. In der Autobiografie werde das Ich weniger be- als geschrieben. Tatsächlich ist das konstruktive Moment literarischer Gattungen im Fall der Autobiografie von besonderer Deutlichkeit. Ob ich mein Leben als einen geordneten Stufengang erzähle, ob ich dazu eine Ansammlung inkohärenter Geschichten präsentiere oder auf Narration ganz verzichte und auf andere Textsorten und Medien, etwa Fotos, zurückgreife, macht einen Unterschied. Die Annahme, dass ein so oder so gestaltetes Ich einfach vorausgesetzt werden kann, wird fraglich.
Im Blick auf einige bemerkenswerte Beispiele autobiografischen Schreibens des 20. und 21. Jahrhunderts möchte das Seminar den Ich-Konstruktionen der Texte genauer nachgehen. Zur Diskussion stehen Texte von Max Frisch, Roland Barthes, Kurt Vonnegut, Christa Wolf, Hans Magnus Enzensberger, Annie Ernaux, Paul Auster u.a.
Zur ersten Orientierung: Martina Wagner-Egelhaaf, Autobiografie, Stuttgart 2005 (Sammlung Metzler); Esther Kraus, Faktualität und Fiktionalität in autobiographischen Texten des 20. Jahrhunderts, Marburg 2013.

 

HS Die 80er Jahre (BA Modul Vergleichende Europäische Literaturgeschichte)

S. Seiler

2-std., Do, 12–14 Uhr, P 12

Beginn: 21. Oktober 2021

Thematisch anschließend an Vorlesung und Seminar über die 70er Jahre (die jedoch keine Voraussetzung für die Teilnahme bildet), soll ein komparatistischer Blick auf das in Bezug auf die Kultur oft geschmähte Folgejahrzehnt, die 1980er Jahre, geworfen werden. Während die 70er Jahre noch geprägt waren von den positiven Folgen, aber auch Nachwehen der 68er- Bewegung und sowohl für eine Liberalisierung der Gesellschaft wie auch eine wachsende Experimentierfreudigkeit in der Literatur (sowie in anderen Künsten wie vor allem Film und Popmusik) stehen, werden die 80er Jahre gemeinhin als Jahrzehnt der Oberflächlichkeit im Zuge eines überbordenden Kapitalismus und Hedonismus angesehen, der nicht nur die Gesellschaft sondern auch die Künste nachhaltig geprägt habe.
In der amerikanischen Literatur sind damals vor allem Texte erfolgreich, die diesen Hedonismus (wenn auch teilweise kritisch) spiegeln, etwa von Bret Easton Ellis, Tom Wolfe oder Jay McInerney. In der deutschsprachigen Literatur setzt sich wiederum in der Folge der ‚Neuen Innerlichkeit‘ vor allem bei Suhrkamp-Autor*innen eine hermetische Form des Schreibens durch, welche die Exportfähigkeit der Autoren und Texte deutlich schmälert, was auch Auswirkungen auf die internationale Stellung der deutschen Literatur hat. Gleichzeitig wird Lateinamerika dank Autoren wie Gabriel García Márquez, der 1982 den Nobelpreis für Literatur gewinnt, zum neuen Bezugspunkt der Weltliteratur. Im Seminar sollen diese und weitere Entwicklungen aus komparatistischer Perspektive untersucht werden, wobei gleichzeitig ein Blick auf andere mediale Phänomene, welche die 80r Jahre entscheidend geprägt haben, geworfen wird.

 

HS Kanon und Wertung der Weltliteratur (MA Modul Theorie der Literatur und Vertiefung)

F. Zipfel

2-std., Di, 12–14 Uhr, P 12

Beginn: 20. Oktober 2021

Literarische Kanones sind in seit langem höchst umstritten. Gleichzeitig scheinen weder der globalisierte Literaturbetrieb noch die zeitgenössische Literaturwissenschaft ohne sie auszukommen. Die Skeptiker sehen im Kanon vor allem ein Instrument zur Stabilisierung der Macht (politisch, gesellschaftlich oder kulturell) herrschender Gruppen und zur Marginalisierung der Nicht-Privilegierten. Die Verfechter sehen Kanones als notwendig für die Orientierung von Leser:innen gerade in unserem pluralistischen, durch Globalisierung und Digitalisierung geprägten Zeitalter. Kanones stehen zudem, besonders wenn sie nicht nur nationale, sondern weltliterarischer Geltung haben sollen, unter einem doppelten, historischen und geosoziologischen Paradox: sie sollen Werke mit überzeitlicher Geltung beinhalten, sind aber selbst historisch gebunden, wie die De- und Rekanonisierungsprozesse zeigen; sie sollen transnational gültige Werke umfassen, sind jedoch immer aus einer bestimmten sozialgeographischen Position heraus formuliert. Die Grundlage eines jeden Kanons sind literarische Wertungen, die mindestens ebenso umstritten sind wie die Kanones selbst, besonders wenn sie transnationale Gültigkeit beanspruchen. Die Analyse von Kriterien und Voraussetzungen ästhetischer Wertung führt schnell zu grundlegenden Fragestellungen nach Wesen und Funktionen von Literatur und Kunst ganz allgemein. Im Seminar werden zuerst aktuelle Theorien der Kanonisierung und Wertung von Literatur analysiert und diskutiert (allgemein, gattungsbezogen, aber auch im transmedialen Vergleich mit Wertungsdiskursen in anderen Künsten wie z. B. Filmen oder Musik). In einem zweiten Teil geht es um die direkte Auseinandersetzung mit Kanonbildung und Wertungen (z. B. Analyse vorhandener Kanones, Diskussion von Wertungen u.a. in Rezensionen oder bei Preisverleihungen, Erstellung eines eigenen Kanons, wertungsbezogene Diskussion von Werken nach Vorschlägen der Studierenden).
Zur ersten Orientierung: Rippl, Gabriele/Winko, Simoen (Hg.): Handbuch Kanon und Wertung. Theorien, Instanzen, Geschichte. Stuttgart u.a 2013.