Komparatistik in Mainz

1. Geschichte

Die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (Komparatistik) ist eines der jüngeren literaturwissenschaftlichen Fächer. Sie ist an deutschen Hochschulen erst nach dem Zweiten Weltkrieg institutionalisiert worden und nur an wenigen Universitäten mit eigenen Instituten vertreten. Deutlich ist jedoch ein zunehmendes Interesse der traditionellen Philologien an komparatistischen Fragestellungen zu beobachten, das auch zu Neugründungen von entsprechenden Bereichen führt. Die erste Professur für Vergleichende Literaturwissenschaft in Deutschland wurde 1946 von der französischen Besatzungsmacht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz eingerichtet. Das daraus entstandene heutige Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft ist mit derzeit ca. 500 Studierenden eines der drei größten seiner Art in Deutschland.

2. Fachverständnis

Die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in Mainz versteht sich als eine interdisziplinäre Literaturwissenschaft. Ihr Interesse gilt dem, was Literatur unabhängig von sprachlichen und nationalen Besonderheiten in der Fülle ihrer Bezüge, auch zu Kultur und anderer Kunst, ausmacht. Sie verfährt sowohl theoretisch innerhalb der Allgemeinen Literaturwissenschaft wie auch innerhalb der Vergleichenden Literaturwissenschaft historisch. Als Allgemeine Literaturwissenschaft bemüht sie sich um eine theoretische Erfassung der Literatur, im Anschluß an die Poetik und die Ästhetik, als Vergleichende Literaturwissenschaft um eine Untersuchung unterschiedlicher Aspekte der internationalen und interkulturellen, aber auch intermedialen Vernetzung von Literatur. Gemeinsam ist dabei der Allgemeinen und der Vergleichenden Literaturwissenschaft, dass sie nicht auf die Erkenntnis von Besonderem - sei es eines Werks, eines Autors, einer Zeit oder einer Literatur -, sondern eines Über-Individuellen oder Allgemeinen abzielen. Vorausgesetzt ist dabei jeweils, dass ein Komparatist oder eine Komparatistin sich in mindestens zwei oder drei Literaturen kompetent zu bewegen weiß. Die Theorie der Literatur ist in der Mainzer Komparatistik vor allem mit den Schwerpunkten Gattungs- und Übersetzungsforschung und Fiktionstheorie vertreten. Die Internationalität der Literatur, wesentlich fassbar in ihren sprachübergreifenden intertextuellen Beziehungen, ist traditionell der zentrale Untersuchungsgegenstand der Vergleichenden Literaturgeschichte, der poetologisch und literaturwissenschaftlich in verschiedenen Konzepten von Weltliteratur reflektiert worden ist. In Mainz gilt dabei das Hauptaugenmerk den mittel- und südeuropäischen sowie den nord- und südamerikanischen Literaturen des 18.-21. Jahrhunderts. Allerdings berücksichtigt die Komparatistik nicht nur den Zusammenhang der Literaturen, sondern auch den Zusammenhang von Literatur und Kultur, insbesondere die Beziehungen zwischen literarischen und kulturellen Phänomenen verschiedener Länder und Sprachen. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Problem der Interkulturalität. Phänomene wie Migration und Hybridisierung von Gesellschaften und Kulturen etwa können komparatistisch in ihrer literarischen Reflexion untersucht werden. Dabei spielen Fragen der Alterität, des Blicks auf das jeweils Fremde, der interkulturellen Begegnung und der transkulturellen Verflechtung eine wichtige Rolle. Neben kulturwissenschaftlichen kommen medienkomparatistische Fragenstellungen in der Mainzer Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft eine besondere Bedeutung zu. Dabei kann das Fach von seinem traditionellen Interesse für die Beziehung der Literatur zu anderen Künsten profitieren. In seiner allgemein ästhetischen Ausrichtung hat es immer schon den Zusammenhang zwischen sprachlich verfassten Kunstwerken und ästhetischen Objekten in anderen Zeichensystemen und Medien analysiert. Untersucht werden heute u.a. das Wechselspiel zwischen der Literatur einerseits und der bildenden Kunst, der Musik und dem Film andererseits, dabei etwa die Veränderung von Inhalten und Verfahren beim Wechsel von einem Medium in ein anderes. Insgesamt greift die Komparatistik immer wieder über den angestammten Gegenstandsbereich und die überkommenen Methoden einzelphilologischer Literaturwissenschaft hinaus.

3. Kooperationen

Die Zusammenarbeit mit anderen Universitäten und Instituten, besonders im Ausland ist für ein interdisziplinär und international angelegtes Fach wie die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft eine Selbstverständlichkeit. Zur Zeit bestehen institutionalisierte Kooperationen mit der französischen Université de Bourgogne Dijon und mit der niederländischen Rijksuniversiteit Groningen ferner eine Reihe von projektbezogenen Kooperationen mit anderen bedeutenden europäischen Hochschulen. Diese Kooperationen erlauben zum einen die Vermittlung von Studierenden an die betreffenden Universitäten und zum anderen Lehraufenthalte von ausländischen Wissenschaftlern in Mainz und von Mainzer Lehrenden im Ausland. In Zukunft sollen diese Kooperationen weiter gepflegt und einige Kontakte zu institutionalisierten Verbindungen ausgeweitet werden, um die Bandbreite der Möglichkeiten für die Zusammenarbeit mit ausländischen Instituten und für horizonterweiternde Auslandsaufenthalte der Studierenden zu vergrößern.

4. Praxisbezug

Mit ihren traditionell gewachsenen theoretischen und komparativen Verfahren verfügt die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft über ein breites Spektrum von Möglichkeiten für die empirische Untersuchung und theoretische Analyse kultureller und insbesondere ästhetischer Phänomene im Kontext einer sich immer schneller entwickelnden Kultur- und Medienlandschaft. Studierende des Faches werden mit diesen Möglichkeiten vertraut gemacht und erwerben damit die notwendigen Fähigkeiten, sich frei und sicher im komplizierten Feld der intermedialen und interkulturellen Diskurse zu bewegen. Hierzu gehören, vermittelt durch die grundlegenden wissenschaftlichen Qualifikationen eines Komparatisten, insbesondere die Fähigkeit zu interdisziplinärer und vergleichender Arbeit und die Fähigkeit, flexibel auf kulturelle Veränderungen zu reagieren. Die Studierenden werden zudem ermutigt, durch Praktika und Auslandsaufenthalte ihren intellektuellen und praktischen Horizont zu erweitern. Die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft bildet Studierende nicht auf ein bestimmtes Berufsziel aus, vermittelt ihnen jedoch Kompetenzen, die es ihnen erlauben, sowohl in den traditionellen Feldern (Verlage, Zeitungen, Rundfunk, Theater, kulturelle Institutionen im In- und Ausland) wie auch in neuen Märkten (Vermittlung kultureller Inhalte in den neuen Medien) Fuß zu fassen.