Lehrveranstaltungen

Dramatisierung des Romans - Episierung des Dramas/Theaters

Dozent:innen: Univ.-Prof. Dr. Irina Rajewsky
Kurzname: Th. Sem. InterText I
Kurs-Nr.: 05.861.805
Kurstyp: Seminar

Empfohlene Literatur


Primärtextgrundlage:
Flauberts Madame Bovary (1856) muss spätestens zur zweiten Sitzung des Seminar gelesen sein bzw. wird für das Seminar als bekannt vorausgesetzt. Daneben werden wir uns im Kontext der ‚Dramatisierung des Romans‘ mit kürzeren Texten (Novellen, Kurzgeschichten und Romanauszügen) befassen, so u.a. von Thackeray, Maupassant, Verga, Schnitzler und Hemingway. Die genaue Textgrundlage (dies auch die einschlägigen Dramentexte betreffend) wird im Laufe der vorlesungsfreien Zeit bekannt gegebenen.

Empfohlene Sekundärliteratur (Grundlagen):
Siehe zu den drei Erzählsituationen nach Stanzel: Stanzel, Franz K., Typische Formen des Romans, Göttingen 1993 [11964]. Siehe zu Stanzels erzähltheoretischem Ansatz sodann auch: Stanzel, Franz K., Theorie des Erzählens, Göttingen 2008 [11979]; beide Texte Stanzels werden für das Seminar relevant. Hinzuziehen sind Genettes einschlägigen Ausführungen im Discours du récit (1972) und in seinem Nouveau discours du récit von 1983, die in der deutschsprachigen Übersetzung beide im Band Die Erzählung zusammengefasst worden sind (vgl. Genette 2010, 3. Aufl.). Mit Blick auf Episierungsverfahren im Drama sei verwiesen auf: Pfister, Das Drama. Theorie und Analyse, München 1988 (oder neuere Auflage). Für aktuelle Ansätze, die bezüglich bestimmter Erzählsituationen im Kontext literarischer Erzählpraktiken die Auffassung eines ‚erzählerlosen Erzählens‘ vertreten, auf: Köppe, Tilmann/Kindt, Tom, Erzähltheorie eine Einführung, Stuttgart: Reclam, 2014.

Inhalt

Wenn Sie an creative writing classes teilnehmen oder im Internet nach ‚Schreibratgebern‘ suchen, werden Sie früher oder später auf den Slogan „Show, don’t tell!“ stoßen. „Don’t tell us. Show us“, liest man etwa in einer aktuellen Anleitung zu writing science fiction and fantasy: „Make this your mantra, chant it to yourself as you write“ (http://www.writesf.com/04_Lesson_06_Human.html). Aufgerufen sind hiermit Vorstellungen eines ‚unpersönlichen‘, als ‚objektiv‘ verstandenen Erzählens, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s im Kontext des ‚realistischen‘ oder auch ‚naturalistischen‘ Erzählens herausgebildet haben und so (bis in das frühe 20. Jh. hinein) auch normativ vertreten bzw. eingefordert worden sind. „Show. Don’t tell!“, lautet allenthalben die Devise; „[d]on’t say the old lady screamed. Bring her on and let her scream” eine der in diesem Zusammenhang vielzitierten, Mark Twain zugeschriebenen Äußerungen. Anton Cevoch gilt als Urheber des Satzes: „Don’t tell me the moon is shining; show me the glint of light on broken glass.“ „My task which I am trying to achieve“, so 1897 z.B. auch Joseph Conrad, „is, by the power of the written word to make you hear, to make you feel – it is, before all, to make you see. That – and no more, and it is everything“. In diesem Sinne erhebt auch Percy Lubbock ein Erzählen im Modus des ‚Szenischen‘ oder, wie es in der Folge heißen sollte, des showing noch 1921 zum Inbegriff der Art oder Craft of Fiction (so der Titel seiner Publikation), wenn er feststellt: „[T]he art of fiction does not begin until the novelist thinks of his story as a matter to be shown, to be so exhibited that it will tell itself.“
Was hier zum Tragen kommt, ist ein Wandel innerhalb der Erzählpraxis, der in Flauberts Madame Bovary (1856) seinen ersten, damals als revolutionär aufgefassten Niederschlag gefunden hat (von Flaubert selbst mit dem Stichwort der impersonnalité, also eines ‚unpersönlichen‘ Erzählens belegt) und der in der Folge von Seiten sowohl der zeitgenössischen Autor:innen selbst als auch der ‚frühen Romantheorie‘ des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jh.s breit diskutiert worden ist. Letztlich hat dieser Wandel innerhalb der Erzählpraxis zur Herausbildung dessen geführt, was in der Erzähltheorie später als ‚personale Erzählsituation‘ (Franz K. Stanzel) bezeichnet oder mit Begriffen wie ‚covert‘ oder ‚effaced narrator/narration‘ gefasst worden ist. Zugleich gehen auf die hier zum Tragen kommenden Erzählweisen Annahmen eines ‚erzählerlosen Erzählens‘ zurück, wie sie – höchst wirkmächtig – Gérard Genette im Kontext der heute als ‚klassische Narratologie‘ bezeichneten Sparte der Erzähltheorie diskutieren sollte (in seinen frühen Beiträgen zunächst noch unter Befürwortung, später ganz dezidiert in Ablehnung entsprechender Konzeptionen).
Von besonderer Relevanz wird für unser Seminar, dass die fraglichen Erzählpraktiken von den Autor:innen selbst (so u.a. auch bei Flaubert) wie auch von Seiten der frühen Romantheorie im Sinne einer ‚Dramatisierung des Romans‘, d.h. einer Annäherung des Romans an das Drama bzw. Theater diskutiert worden sind, neben anderen Bezugsmedien (so in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts insb. auch die Fotografie) also gerade das Drama/Theater als zentraler Maßstab herangezogen worden ist. Auf den Modellcharakter des Dramas/Theaters verweisen schon allein die im und seit dem 19. Jh. aufgekommenen Bezeichnungen für entsprechende Erzählweisen: Bereits Otto Ludwig spricht von der ‚szenischen Erzählung‘, Henry James ermahnt sich und seine Leser:innen in den Vorworten zur New York Edition seiner Erzählungen von 1909 wieder und wieder zu einem „dramatise!“, „dramatise, dramatise, dramatise!“, Käte Friedemann spricht 1910 in Bezug auf einen „großen Teil der modernen Erzählungsliteratur“ von einer „entschiedenen Neigung zu dramatischer Formgebung“, Oskar Walzel gilt der ‚szenische Roman‘ 1915 als gängiger Standard des Erzählens, Lubbock spricht 1921 in Bezug auf die von ihm bevorzugte ‚Methode‘ des Erzählens von drama, dramatization und to dramatize, Robert Pesch 1928 von ‚Szene‘ bzw. ‚epischer Szene‘, Friedman 1955 von ‚dramatic mode‘, und Stanzel führt im selben Jahr (in Anlehnung an Otto Ludwigs Terminologie) die Unterscheidung zwischen ‚berichtender Erzählung‘ und ‚szenischer Darstellung‘ ein, wobei er auch mehrfach auf den ‚objektiven oder dramatischen Roman‘ verweist.
Den hier einschlägigen Erzählverfahren und deren (erzähltheoretischen wie auch darstellungspraktischen) Implikationen werden wir im Seminar anhand konkreter Primärtexte nachgehen und dabei sowohl die zeitgenössischen Debatten als auch deren Weiterentwicklung ab den 1950er Jahren einbeziehen (bis hin zu aktuellen Ansätzen zu einem ‚erzählerlosen Erzählen‘, das im Kontext der Erzähltheorie gerade in jüngerer Zeit wieder große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und inzwischen auch in einschlägigen Grundlagentexten vertreten wird [vgl. Köppe/Kindt, Erzähltheorie. Eine Einführung, Stuttgart: Reclam, 2014]). In der zweiten Hälfte des Semesters werden wir sodann auch die gegenläufige Bewegung aufgreifen, womit Episierungsverfahren im Drama/Theater aufgerufen sind, wie sie im 20. Jh. zunehmend gängig werden sollten.


Termine

Datum (Wochentag) Zeit Ort
27.10.2022 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)
03.11.2022 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)
10.11.2022 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)
17.11.2022 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)
24.11.2022 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)
01.12.2022 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)
08.12.2022 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)
15.12.2022 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)
22.12.2022 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)
12.01.2023 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)
19.01.2023 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)
26.01.2023 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)
02.02.2023 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)
09.02.2023 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 02 701 Seminarraum
1137 - Georg-Forster-Gebäude (Sowi)