Lehrveranstaltungen

Fiktionales, faktuales, autofiktionales Erzählen

Dozent:innen: Univ.-Prof. Dr. Irina Rajewsky
Kurs-Nr.: 05.861.845
Kurstyp: Vorlesung

Inhalt

Die Vorlesung konzentriert sich auf Erzählpraktiken im Spannungsfeld von fiktionalem und faktualem Erzählen und rückt dabei insbesondere solche Formen des Erzählens in den Fokus, die sich in der einen oder anderen Weise ‚auf der Grenze‘ dessen bewegen, was Gérard Genette als „[les] régimes fictionnel et factuel du récit“ (Genette 1991) bezeichnet hat. Im Vordergrund stehen also Erzählpraktiken, die sich mit konventionalisierten Unterscheidungen zwischen fiktionalem und faktualem Erzählen auseinandersetzen, diesbezügliche Grenzziehungen unterlaufen, verwischen, verschieben oder ggf. auch – all dies wird zu diskutieren sein – grundsätzlich in Frage stellen.
Ziel ist es zum einen, die Teilnehmer:innen auf der Basis konkreter Beispiele aus Literatur und anderen medialen Kontexten (insb. Film und Comics/Graphic Novels) forschungsorientiert an fiktionalitäts- und faktualitätstheoretische Grundlagendebatten heranzuführen und diese bezüglich ihrer jeweiligen Implikationen wie auch ihres jeweils gegebenen (oder auch nicht gegebenen) ‚Mehrwerts‘ gemeinsam zu diskutieren. Zum anderen rücken in diesem Zusammenhang aber auch neuere Tendenzen innerhalb des literarischen Felds wie auch ganz allgemein innerhalb unserer Kultur und Gesellschaft in den Fokus, in der (neben ‚fake news‘ usw.) in jüngerer Zeit u.a. ja auch fiktional-faktuale ‚Selbst-Darstellungspraxen‘ mehr und mehr an Gewicht gewonnen haben. In Anbetracht einer über die letzten Jahrzehnte hinweg zunehmend zu beobachtenden Hybridisierung fiktionaler und faktualer Erzählformen, wird insofern auch zu diskutieren sein, inwiefern ‚klassische‘ Fiktionalitäts-Faktualitäts-Unterscheidungen aus heutiger Sicht zu hinterfragen sind bzw. ob sich aktuell Tendenzen ausmachen lassen, die darauf hindeuten, dass wir derzeit in einer Phase der Neuaushandlung von Fiktionalitäts- und Faktualitätskonventionen begriffen sind.
Im Bereich der Literatur ist die Entwicklung hin zu einschlägigen Hybridformen bereits seit den 1960er/70er Jahren zu beobachten (so u.a. im Kontext des „New Journalism“ bzw. der sog. „Non-fiction novel“), hat sich aber auch hier in den dann folgenden Jahrzehnten nochmals deutlich zugespitzt. Letzteres zeigt sich u.a. in Experimenten mit der Textsorte der Biographie (so z.B. Wolfgang Hildesheimers ‚fake‘ Biographie „Marbot“ von 1984), besonders augenfällig aber auch im boomenden Genre der Autofiktion, das seine (zunächst stark durch den französischen Post-Strukturalismus geprägten) Wurzeln in den 1970er/80er Jahren hat, inzwischen aber längst auch in anderen Formen und mit anderen epistemologischen wie auch gattungsrelevanten Prämissen auf den Plan tritt. Spätestens seit der Jahrtausendwende haben sich fiktional-faktuale Hybridformen zudem zunehmend auch in anderen medialen Kontexten Raum verschafft. Hier ist u.a. an sog. „Mockumentaries“ oder auch an Filme zu denken, deren Status als Dokumentarfilm, Pseudo-Dokumentarfilm oder Mockumentary unentscheidbar bleibt (z.B. „Exit Through the Gift Shop. A Banksy Film“, UK 2010), oder auch an Comics/Graphic Novels, die sich in ihrer je spezifischen Machart zwischen Fakt und Fiktion bzw. zwischen faktualem und fiktionalem Erzählen bewegen (so, neben Art Spiegelmans berühmtem „Maus“ [1980-1991], u.a. auch „Le Photographe“ von Emmanuel Guibert, Frédéric Lemercier und Didier Lefèvre [2003-2006]).
Die Vorlesung wird als „Vorlesung mit Seminarcharakter“ organisiert sein, d.h. Vorlesungsanteile und gemeinsame Diskussionen von Primär- und Sekundärtexten bzw. anderweitigen Primärmaterialien (Filme, Comics/Graphic Novels) miteinander verknüpfen. Sehr erwünscht ist der parallele Besuch des Master-Seminars „Und was kommt nach der Postmoderne? Tendenzen des Gegenwartsromans seit der Jahrtausendwende“, da sich diese beiden Lehrveranstaltungen gegenseitig ergänzen und einige der Primärtexte in beiden Lehrveranstaltungen eine Rolle spielen werden.
Die endgültige Liste der Primärtexte (wie auch Filme und Comics/Graphic Novels), die in der Vorlesung behandelt werden, wird zu Semesterbeginn bekannt gegeben. Angesprochen werden im Rahmen der Vorlesung aber in jedem Fall folgende Texte (die mit einem Asteriskus ausgewiesenen Texte sollten gelesen sein bzw. im Laufe des Semesters gelesen werden):
*Truman Capote, In Cold Blood (1965/1966)
Serge Doubrovsky, Fils (1977)
Alain Robbe-Grillet, Trilogie autofiktionaler Texte („nouvelle autobiographie“): 1984-1994 (Le Miroir qui revient, 1985; Angélique ou L’enchantement, 1988; Les Derniers jours de Corinthe, 1994)
Wolfgang Hildesheimer, Marbot (1984)
*Wolfgang Haas, Das Wetter vor 15 Jahren (2006)
*Roberto Saviano, Gomorrah (2006)
*Doris Lessing, Alfred and Emily (2008)
Anne Carson, Nox (2010)
*Felicitas Hoppe, Hoppe (2012)


Termine

Datum (Wochentag) Zeit Ort
18.04.2024 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 01 451 P106
1141 - Philosophisches Seminargebäude
25.04.2024 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 01 451 P106
1141 - Philosophisches Seminargebäude
02.05.2024 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 01 451 P106
1141 - Philosophisches Seminargebäude
16.05.2024 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 01 451 P106
1141 - Philosophisches Seminargebäude
23.05.2024 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 01 451 P106
1141 - Philosophisches Seminargebäude
06.06.2024 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 01 451 P106
1141 - Philosophisches Seminargebäude
13.06.2024 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 01 451 P106
1141 - Philosophisches Seminargebäude
20.06.2024 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 01 451 P106
1141 - Philosophisches Seminargebäude
27.06.2024 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 01 451 P106
1141 - Philosophisches Seminargebäude
04.07.2024 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 01 451 P106
1141 - Philosophisches Seminargebäude
11.07.2024 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 01 451 P106
1141 - Philosophisches Seminargebäude
18.07.2024 (Donnerstag) 12:15 - 13:45 01 451 P106
1141 - Philosophisches Seminargebäude