Proseminare und Seminare Sommersemester 2022

Hinweis: Die Zugehörigkeit der Lehrveranstaltungen zu den einzelnen Modulen des B.A.-Studiengangs Komparatistik/Europäische Literatur, des M.A.-Studiengangs Komparatistik und des M.A.-Studiengangs Weltliteratur ist durch Kurztitel der Module nach den Lehrveranstaltungstitel angegeben.

PROSEMINARE

PrS Einführung in die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (BA Modul Einführung)

F. Rauh

2-std., Di, 10 – 12 Uhr, P 13

Beginn: 19. April 2022

Die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft bildet die theoretische und methodologische Grundlage für das Studium der europäischen Literatur. Das Seminar bietet eine Einführung in die für dieses Studium grundlegenden Fragestellungen und Themengebiete. Hierzu gehören u.a. Grundlagen der Textanalyse und des Vergleichs, die Unterscheidung literarischer Gattungen, die Erforschung der Beziehungen zwischen Texten (Intertextualität) sowie Übersetzungsvergleich und Übersetzungstheorie. In diesen Untersuchungsgebieten werden anhand der Lektüre und Untersuchung ausgewählter Textbeispiele aus der europäischen Literatur Grundkenntnisse vermittelt, die im Laufe des Studiums vertieft werden.

 

PrS Einführung in literaturwissenschaftliches Arbeiten (BA Modul Einführung)

F. Rauh

2-std., Do, 10 – 12 Uhr, P 104

Beginn: 21. April 2022

Im Seminar werden grundlegende Kenntnisse zum „Handwerkszeug“ der Literaturwissenschaft vermittelt. Hierzu gehören: Aufbau und Funktion unterschiedlicher Editionen von literarischen Texten, Umgang mit Nachschlagewerken und Handbüchern, Auffinden (Bibliographieren) und Verwenden (Zitieren) von wissenschaftlicher Literatur zu einem Thema, Einführung in wissenschaftliche und literarische Zeitschriften, Einführung in die schriftliche (Hausarbeit) und mündliche (Referat) Präsentation der Ergebnisse literaturwissenschaftlicher Untersuchungen. Die gesamten Themenbereiche werden am Beispiel klassischer Texte der europäischen Literatur erarbeitet und konkretisiert.

 

PrS Grundbegriffe der Textanalyse (BA Modul Grundbegriffe)  

A. Reifenbeger

2-std., Di, 16 – 18 Uhr, P 101

Beginn: 19. April 2022

Die Grundlage jeder wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Literatur ist die Analyse literarischer Texte. Unterschiedliche Gattungen erfordern dabei spezifische, auf die jeweilige Textsorte abgestimmte Instrumentarien. In der Literaturwissenschaft wurden für die drei Großgattungen Lyrik, Drama, Erzählen jeweils eigene Analyse- und Beschreibungskategorien entwickelt. Im Seminar wird ein Überblick über die unterschiedlichen Beschreibungskategorien für die Analyse von lyrischen, dramatischen und erzählenden Texten in vergleichender Perspektive am Beispiel klassischer Texte der europäischen Literatur erarbeitet.

 

PrS Literaturwissenschaftliche Modelle und Methoden (BA Modul Grundbegriffe)  

A. Zehler

2-std., Mo, 10 – 12 Uhr, P 12

Beginn: 25. April 2022

Literarische Texte können nach verschiedenen theoretischen Vorgaben und Methoden interpretiert und eingeordnet werden. Diese literaturwissenschaftlichen Methoden und ihr theoretischer Hintergrund (bspw. Hermeneutik, Rezeptionsästhetik, Formalismus, Psychoanalyse, Strukturalismus, Poststrukturalismus, Marxismus, Gender Studies, usw.) sollen im Seminar eingehend behandelt, erprobt und diskutiert werden. Dies geschieht anhand ausgewählter literarischer Beispieltexte, die von verschiedenen Theoretikern mit unterschiedlichen Methoden untersucht und interpretiert wurden. Ziel des Seminars ist eine gute Kenntnis der verschiedenen Untersuchungsmodelle sowie die Fähigkeit, ihre Anwendbarkeit kritisch einschätzen zu können.

 

PrS Gattungstheorie (BA Modul Literaturtheorie)  

M. Wiesmann

2-std., Mi, 16 – 18 Uhr, P 108

Beginn: 20. April 2022

Die Einteilung in Gattungen ist beim Umgang mit literarischen Texten omnipräsent und unverzichtbar. Gattungseinteilungen werden dabei auf verschiedenen Abstraktionsebenen und nach unterschiedlichen Kriterien vorgenommen. Gattungen werden gesehen als allgemeine Wesensbestimmungen von Dichtung (Epik, Lyrik, Drama), als transmediale Strukturen oder Verfahren (das Komische, die Parodie), als mehr oder weniger eng bestimmte Textgruppen nach formalen (Briefroman, Sonett), inhaltlichen (Bildungsroman, Dokumentardrama) oder funktionalen (Unterhaltungsliteratur, didaktische Literatur) Kriterien, als historisch begrenzte Textsorten (antike Tragödie, bürgerliches Trauerspiel). Versuche der theoretischen Erläuterung solcher Gattungseinteilungen zeigen, dass sich hinter dem Begriff der literarischen Gattung ein komplexes Feld (grundlegender) literaturwissenschaftlicher Fragestellungen verbirgt. Im Seminar werden die verschiedenen Konzepte von literarischer Gattung durch Lektüre und Diskussion einschlägiger theoretischer Texte nachvollzogen. Dabei geht es sowohl um den literaturtheoretischen Hintergrund von Gattungseinteilungen, wie auch um den praktischen Umgang mit Gattungsbegriffen bei der Analyse und Interpretation literarischer Texte.
Zur vorbereitenden Lektüre hilfreich: Rüdiger Zymner: Gattungstheorie. Paderborn 2003.

 

SEMINARE

S Fiktionstheorie (BA Modul Literaturtheorie)

P. Jakob

2-std., Mo, 16 – 18 Uhr, P 203

Beginn: 25. April 2022

Fiktion ist ein zentraler Terminus der internationalen Literaturtheorie. Grundsätzlich wird mit Fiktion die Tatsache bezeichnet, dass literarische (Erzähl-) Texte zumeist von erfundenen, nicht-wirklichen Figuren, Gegenständen und Ereignissen handeln. Darauf aufbauend kann Fiktion je nach Theoriekonzept als spezifische Besonderheit der Produktion, Rezeption, Sprachverwendung oder Erzählweise literarischer Texte erläutert werden. Im Seminar werden anhand der Lektüre repräsentativer Textbeispiele unterschiedliche Ansätze einer Theorie der Fiktion vorgestellt, analysiert und diskutiert sowie ihre vielfältigen Berührungspunkte mit anderen grundlegenden Themenfeldern theoretischer und praktischer Literaturwissenschaft, wie allgemeine Literaturtheorie, Erzähltheorie, Gattungstheorie, Textanalyse und -interpretation untersucht.
Für erste Einblicke in die Problematik empfohlene Lektüre: Rühling, Lutz: „Fiktionalität und Poetizität“, in: Arnold, Heinz Ludwig/ Detering, Heinrich (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft. München 1996, 25-51; Gabriel, Gottfried: „Fiktion“, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Gemeinsam mit Harald Fricke, Klaus Grubmüller und Jan-Dirk Müller herausgegeben von Klaus Weimar. Band I. Berlin/New York 1997, 594-598.

 

S Kurzgeschichte, international (BA Modul Internationalität)

S. Wengoborski

2-std., Do, 10 – 12 Uhr, P 103

Beginn: 21. April 2022

Kurzgeschichten sind weltweit zu finden. Im deutschsprachigen Raum deutlich beeinflusst von der amerikanischen Short Story, erfreute sich das Genre auch in anderen Ländern Europas großer Beliebtheit. Autoren wie Anton Cechov, Guy de Maupassant oder Edgar Elan Poe haben das Genre in die eine oder andere Richtung geprägt. Die Möglichkeit, diese – im Vergleich zum Roman – relativ kurzen Texte in Zeitschriften zu veröffentlichen, trug nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Regionen der Welt dazu bei, das Genre zu etablieren, so auch in Südasien. Im Rahmen dieses Seminars werden neben deutschen und europäisch-„westlichen" Ausprägungen auch die entsprechenden modernen Kurzprosa-Gattungen in der singhalesischen (Sri Lanka) und der Hindi-Literatur (Nordindien) betrachtet, und deren Entwicklungen, Einflüsse und intertextuelle Bezüge in die Betrachtung miteinbezogen. Fragen wie die nach Struktur, Gestaltung oder nach zu erfüllenden Kriterien, werden ebenso angesprochen, wie die Sprachenvielfalt und die Bedeutung des Übersetzens.
Lamping, Dieter; Zipfel, Frank; Poppe, Sandra; Seiler, Sascha (Hg.) (2009): Handbuch der literarischen Gattungen. Stuttgart: Kröner. [online verfügbar; bitte in den ub-account einloggen].
Meisig, Konrad (1999): Orientalische Erzähler der Gegenwart. Vorträge und Übersetzungen der Mainzer Ringvorlesung im Sommersemester 1998 / herausgegeben von Konrad Meisig. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag (Beitrage zur Indologie, Bd. 31), S. 133 – 221.
— (1996): Erzähltechniken der Nayi kahani. Die neue Erzählung der Hindi-Literatur. Wiesbaden: Harrassowitz.
Wengoborski, Sonja (2010): Die zeitgenössische singhalesische Kurzgeschichte: Otto Harrassowitz Verlag.

 

S Die "Rückkehr zum Erzählen" in der postmodernen Literatur der 1980er und 1990er Jahre (BA Modul Vergleichende Europäische Literaturgeschichte)

I. Rajewsky

2-std., Do, 16 – 18 Uhr, P 103

Beginn: 21. April 2022

Nach den durch experimentelle Schreibweisen geprägten 1960er und 70er Jahren, in deren Rahmen traditionellen Erzählformen eine radikale Absage erteilt worden war, ist es in den 1980er Jahren in den europäischen Literaturen (aber so z.B. auch in den USA) zu einer bemerkenswerten „Rückkehr zum Erzählen“ gekommen. Auf dieser Grundlage ist in Bezug auf den Übergang von den 1970er zu den 1980er Jahren von einer „Epochenschwelle der Gegenwartsliteratur“ (Gelz), einem „tiefgreifenden Paradigmenwechsel“ (Tschilschke) und schließlich von postmodernen oder auch postavantgardistischen Erzähltexten gesprochen worden (womit ein vom anglo-amerikanischen Diskurs abzugrenzendes Postmoderne-Verständnis aufgerufen ist).
Eingeläutet worden ist diese Entwicklung mit Weltbestsellern wie Italo Calvinos Se una notte d’inverno un viaggiatore (Wenn ein Reisender in der Winternacht) von 1979 und Umberto Ecos Il nome della rosa (Der Name der Rose) von 1980, gefolgt von einer ganzen Generation jüngerer Autor:innen, mit denen sich eine solche Rückkehr zum Erzählen – und mithin zur Geschichte, zur Handlung, zur Figur und zur „Lesbarkeit“ – mehr oder weniger flächendeckend durchgesetzt hat. Dabei ging es freilich nicht um eine naive, ungebrochene Rückkehr zu traditionellen Erzählformen, sondern viel eher darum, im Bewusstsein um die Konstrukthaftigkeit jeglicher Darstellung von „Welt“ dennoch wieder Geschichten zu erzählen. Die „Rückkehr zum Erzählen“ wird in den einschlägigen Texten insofern mit Verfahren verknüpft, die gerade den Inszenierungscharakter der dargestellten Welten und den Konstruktcharakter der Texte selbst offenlegen. Hiermit verbindet sich ein ironisch-spielerischer, ebenso selbstbewusster wie unbefangener und in diesem Sinne „typisch postmoderner“ Umgang mit literarischen Traditionsbeständen und etablierten Erzählmustern (zu denen auch die ihrerseits konventionell gewordenen Verfahren experimentell-avantgardistischen Schreibens der 1950er bis 70er Jahre gehören).
Im Seminar werden wir dieser Entwicklung und dem hiermit einhergehenden Postmoderne-Verständnis anhand ausgewählter, vorwiegend italienisch- und französischsprachiger Primärtexte nachgehen, aber auch die entsprechenden Debatten im anglo-amerikanischen Raum einbeziehen (u.a. über Texte von John Barth). Ziel ist es, spezifisch postmodernen Erzähltechniken im hier relevanten Verständnis auf die Spur zu kommen und zugleich je kulturell und kontextuell (wie auch generational) gebundenen Besonderheiten Rechnung zu tragen.
Textgrundlage:
Gelesen sein sollte zu Beginn des Semesters (spätestens aber zur 3. Semesterwoche) Umberto Ecos Il nome della rosa, 1980 (Der Name der Rose). Weitere zu lesende Primärtexte sind: Antonio Tabucchi, Notturno indiano (Indisches Nachstück), zuerst 1984; Jean-Philippe Toussaint, La salle de bain (Das Badezimmer. Roman), zuerst 1985; Patrick Deville, Longue vue (Das Perspektiv), zuerst 1988. Bitte schaffen Sie sich diese Texte an. Weitere Primärtexte/Textauszüge werden zu Beginn des SoSe bekannt gegeben bzw. in Moodle bereitgestellt (so u.a. einige kurze Texte von John Barth).

 

S Seminar zu praktischen Aspekten der Literaturvermittlung (BA Modul Literaturvermittlung)

J. Heß

2-std., Di, 14 – 16 Uhr, P 15

Beginn: 19. April 2022

Das Seminar stellt den zweiten Teil des Moduls „Literaturvermittlung“ dar. Der Schwerpunkt wird auf den unterschiedlichen Genres der Literaturvermittlung im Internet liegen, insbesondere der Präsentation von Literatur, der auch visuellen Berichterstattung über literarische Ereignisse und der Literaturkritik, die jeweils nach Möglichkeit zugleich praktisch eingeübt werden sollen.

 

S Konzepte und Funktionen von Intertextualität (MA Modul Intertextualität)

I. Rajewsky

2-std., Mi 14 – 16 Uhr, P 201

Beginn: 20. April 2022

Die 1967 im Kontext des französischen Poststrukturalismus von Julia Kristeva eingeführte Kategorie der Intertextualität gehört seit den 1980er/1990er Jahren zum festen Inventar des literaturwissenschaftlichen Begriffs- und Analyseinstrumentariums. Verbunden ist dies allerdings mit ganz unterschiedlichen, mal weiter, mal enger gefassten Ansätzen und Begriffsauffassungen. „Intertextualität“, so etwa Manfred Pfister in einem Grundlagenbeitrag von 1985, „ist die Theorie der Beziehungen zwischen Texten. Dies ist unumstritten; umstritten ist jedoch, welche Arten von Beziehungen darunter subsumiert werden sollen“.
Der Heterogenität der Ansätze und Modellbildungen ist im Umgang mit dem Begriff der Intertextualität wie auch mit weiteren, hierauf aufbauenden Kategorien und Konzepten (etwa dem der Intermedialität) Rechnung zu tragen. Neben divergierenden Erkenntnisinteressen rücken damit nicht zuletzt auch unterschiedliche Auffassungen bezüglich möglicher Funktionalisierungen intertextueller Verfahren in konkreten Texten in den Fokus.
Im Seminar werden wir uns mit verschiedenen Intertextualitätsansätzen (wie auch mit deren theoriegeschichtlichen Grundlagen) auseinandersetzen, diese vergleichend aufeinander beziehen und anhand konkreter Textbeispiele in ihrem jeweiligen heuristischen Potential erproben und diskutieren. Gen Ende des Semesters werden zudem intermedialitätstheoretische Ansätze hinzugezogen und auf ihre jeweiligen intertextualitätstheoretischen Grundlagen hin befragt. Im Kontext des Intertextualitätsparadigmas wird uns Umberto Ecos 1980 publizierter Roman und Weltbestseller Il nome della rosa (Der Name der Rose) als zentrales Anschauungsbeispiel dienen. Dieser Roman sollte möglichst schon vor Beginn des Semesters gelesen sein, spätestens jedoch bis zur 5. Semesterwoche. Weitere Primärtexte/Textauszüge werden zu Anfang des SoSe bekannt gegeben bzw. in Moodle bereitgestellt.
Empfohlene Sekundärliteratur:
Genette, Gérard, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, Frankfurt/M. 1993 (frz. Original 1982); Pfister, Manfred, „Konzepte der Intertextualität“, in: Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien, hg. v. U. Broich u. M. P., Tübingen 1985, S. 1–30 [auch weitere Beiträge in diesem Band sind von Relevanz]; Hempfer, Klaus W., „Intertextualität, Systemreferenz und Strukturwandel: Die Pluralisierung des erotischen Diskurses in der italienischen und französischen Renaissance-Lyrik“, in: Modelle des literarischen Strukturwandels, hg. v. M. Titzmann, Tübingen 1991, S. 7–43 (siehe für eine aktualisierte und erweiterte Fassung dieses Aufsatzes auch das Kap. „Intertextualität“ in: Hempfer, K. W., Literaturwissenschaft – Grundlagen einer systematischen Theorie, Stuttgart 2018, S. 143–176); Pfister, Manfred, „How Postmodern is Intertextuality?“, in: Intertextuality, hg. v. H. F. Plett, Berlin/New York 1991, S. 207–224; Jakobi, Stefanie, „Intertextualität, Intermedialität, Transmedialität“, in: Handbuch Kinder- und Jungendliteratur, hg. v. Tobias Kurwinkel u. Philipp Schmerheim, Stuttgart 2020, S. 312–321; Isekenmeier, Guido/Böhn, Andreas/Schrey, Dominik, Intertextualität und Intermedialität. Theoretische Grundlagen – Exemplarische Analysen, Berlin 2021.

 

S Twist Ending. Trügerisches Erzählen in Literatur und Film (MA Modul Intermedialität und Vertiefung)

F. Zipfel

2-std., Do, 16 – 18 Uhr, P 208

Beginn: 21. April 2022

Unzuverlässiges Erzählen ist eines der meist diskutierten narratologischen Konzepte der letzten 20 Jahre. Eine besondere Form des unzuverlässigen Erzählens findet man in Erzählungen mit überraschendem Ende, das die gesamte bis dahin erzählte Geschichte sozusagen auf den Kopf stellt. Diese Erzählstrategie funktioniert nach dem Motto „Alles ganz anders“, d.h. der Leserin einer Erzählung oder dem Zuschauer eines Films wird am Ende deutlich gemacht, dass das, was bis dahin erzählt wurde, falsch war, also dass die fiktive Welt gar nicht so beschaffen ist, wie sie dargestellt wurde und wie die Rezipientin sie sich vorgestellt hatte. Diese Erzählstrategie ist im Laufe des 20. Jahrhunderts immer beliebter geworden, sowohl in der Literatur wie auch im Film. Sie lässt sich quer durch die unterschiedlichsten Erzähl- und Filmgattungen beobachten. Interessanterweise gehen die Bewertungen dieser Erzählstrategie weit auseinander: von der Einordnung als künstlerisch hochwertiges Verfahren bis zur Ablehnung als Irreführung der Rezipienten. Durch die vergleichende Analyse von Texten und Filmen, die sich dieser Erzählstrategien bedienen, werden im Seminar die verschiedenen Realisierungsformen sowie deren Wirkungspotential untersucht.
Diskutiert werden u a. die Texte: Ambrose Bierce: An Occurence at Owl Creek Bridge (1891); Leo Perutz: Zwischen neun und neun (1918); Jorge Luis Borges: Der übergangene Hexenmeister (1935); William Golding: Pincher Martin (1956); Ian McEwan: Atonement (2001); Daniel Kehlmann: Der fernste Ort (2001) und die Filme: The Woman in the Window (Fritz Lang, 1944); Lulu on the Bridge (Paul Auster, 1998); The Sixth Sense (M. Night Shyamalan, 1999); The Others (Alejandro Amenábar, 2001); Swimming Pool (François Ozon, 2002); Yella (Christian Petzold, 2007); The Escapist (Rupert Wyatt, 2008), Shutter Island (Martin Scorcese, 2010)

 

S Literatur im Zeitalter des Digitalen: Das Phänomen der "new bookishness" (MA Modul Theorie der Literatur und Vertiefung)

I. Rajewsky

2-std., Di, 16 – 18 Uhr, P 207

Beginn: 19. April 2022

Seit der Jahrtausendwende hat sich innerhalb des literarischen Feldes ein stetig zunehmendes Interesse an den materiellen Trägermedien von Literatur und dabei – allen mit unserem sog. postliterary age (Damrosch) einhergehenden „death of the book“-Debatten zum Trotz – speziell am Medium des gedruckten Buches gezeigt. Angefangen mit Mark Z. Danielewskis berühmt gewordenem Roman House of Leaves von 2000 sind in der Folge immer mehr literarische Texte, insb. Romane, erschienen, die in auffälliger Weise mit ihrer materiellen Gestaltung experimentieren (u.a. mit Typographie, Layout und graphischen Elementen, aber auch weit hierüber hinaus) und ihre materielle Dimension und Buchgestalt dabei ganz gezielt zu einem integralen Bestandteil des jeweiligen Werks, seiner Narrativität, Bedeutungskonstitution und Sinnstiftung werden lassen. Damit wird das Buch als Buch ins Bewusstsein gehoben und über verschiedenste Verfahren metamedial als solches reflektiert und ausgestellt. Ins Bewusstsein rückt es so zugleich in seiner konkreten, physischen Präsenz: als materieller Träger des Textes wie auch als sinnlich erfahrbares Objekt, als „Ding“ in eigenem Recht. Für diesen „neuen Trend“ zu besonders „buchhaften“ Büchern hat Jessica Pressman 2009 den treffenden Begriff einer „aesthetic of bookishness“ eingeführt.
Im Seminar werden wir dieser in der Tat bemerkenswerten Entwicklung anhand konkreter Beispiele aus dem englisch- und deutschsprachigen Raum nachgehen. Dabei werden zum einen historische Vorläuferphänomene und debatten einzubeziehen sein, auf die die einschlägigen Texte z.T. auch explizit Bezug nehmen; zum anderen werden wir uns kritisch mit aktuellen Interpretationsansätzen auseinandersetzen, in deren Rahmen die „bookish books“ gerne zuvorderst im Sinne eines nostalgischen Tributs an das analoge Buchmedium („analogue nostalgia“) verhandelt werden. Damit einhergehend werden Fragen der Intermedialitäts- und Multimodalitätsforschung zu diskutieren sein.
Primärtextgrundlage:
Genauer besprechen werden wir: J. J. Abrams‘ und Doug Dorsts S. (2013), Anne Carsons Nox (2010) sowie Jan Brandts Gegen die Welt (2011). Die beiden erstgenannten Texte sind vergleichsweise teuer; wenn möglich, würde ich Sie aber dennoch bitten, sich diese anzuschaffen, da sich nur über den konkreten, auch haptischen Umgang mit diesen Büchern ihre Besonderheiten erfassen lassen. Sie werden aber auch in der Bibliothek verfügbar sein (S. ist zudem auch als E-Book publiziert worden). – Daneben können im Rahmen des Seminars weitere Primärtexte in Form von kürzeren case studies aufgegriffen werden. Hier kommen, neben verschiedenen Texten von Danielewski, etwa Texte von Jonathan Safran Foer (Extremely Loud & Incredibly Close, 2005 und Tree of Codes, 2010) in Frage, ebenso z.B. Steven Halls, The Raw Shark Texts von 2007 oder Leanne Shaptons Important Artifacts and Personal Property from the Collection of Lenore Doolan and Harold Morris (2009); im deutschsprachigen Raum u.a. Texte von Judith Schalanski oder z.B. Francis Neniks „XO“ (ein Loseblattroman). Eine ausführlichere Liste aktueller „bookish books“, die für entsprechende case studies herangezogen werden können, wird zu Semesterbeginn in Moodle bereitgestellt.
Empfohlene Sekundärliteratur zur Einführung:
Pressman, Jessica, „The Aesthetic of Bookishness in Twenty-First-Century Literature“, in: Michigan Quaterly Review 48.4, 9 S.; dies., Bookishness. Loving Books in a Digital Age, New York 2020; Tanderup Linkis, Sara, Memory, Intermediality, and Literature. „Something to Hold on to“, New York/Boston 2019; Boyken, Thomas, Medialität des Erzählens. Die Wiederentdeckung des Buches im Roman, Göttingen 2020. In historischer Perspektive: Spoerhase, Carlos, Linie, Fläche, Raum. Die drei Dimensionen des Buches in der Diskussion der Gegenwart und der Moderne, Göttingen 2016; Lauer, Gerhard, Lesen im digitalen Zeitalter, Darmstadt 2020.